Altersvorsorge

Lebensversicherung kündigen? – Das sollten Verbraucher wissen, bevor sie es tun

Viele Deutsche denken darüber nach, ihre Lebensversicherungen zu kündigen, was oft mit hohen finanziellen Einbußen verbunden ist. Eine Untersuchung der Universität Bamberg ergab, dass im Schnitt 4.000 Euro pro Vertrag verloren gehen. In der Dekade von 2001 bis 2010 entstanden Schätzungen zufolge Verluste von 100 bis 160 Milliarden Euro durch vorzeitige Kündigungen. Rund ein Drittel aller Lebensversicherungen in Deutschland enden durch Rückkauf. Aktuelle Studien zeigen, dass Kündigungsraten von 20-25% ein verbreitetes Phänomen sind.

 

Warum immer mehr Deutsche ihre Lebensversicherung kündigen wollen

Die Hauptgründe für den Wunsch, die Lebensversicherung kündigen zu wollen, sind vielschichtig:

  1. Zinsentwicklung als Kündigungstreiber
    Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass ein Anstieg des Zinssatzes um einen Prozentpunkt zu einer Erhöhung der Kündigungsrate von Lebensversicherungen um 25 Basispunkte führt. Deutsche Lebensversicherer sind besonders betroffen, da sie vorwiegend in langfristige Anleihen investieren, deren Wert bei steigenden Zinsen sinkt, während die Rückkaufswerte gleich bleiben.

  2. Schwache Wirtschaftslage verstärkt Kündigungsdruck
    Deutschland hatte 2024 kein Wirtschaftswachstum und für 2025 wird ein geringes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,8% erwartet, was den finanziellen Druck auf Haushalte erhöht und zu einem verstärkten Wunsch führt, Lebensversicherungen zu kündigen.

  3. Strukturwandel bei Produkttypen
    Im Jahr 2000 waren fast drei Viertel aller abgeschlossenen Verträge Kapitalversicherungen, heute sind es nur noch etwa ein Viertel. Der unattraktive Garantiezins verringert die Attraktivität neuer Verträge und erhöht bei bestehenden Verträgen den Kündigungsdruck.

 

Die schockierende Wahrheit über Rückkaufswerte beim Kündigen der Lebensversicherung

Verbraucher sollten vor einer Kündigung ihrer Lebensversicherung die finanziellen Einbußen bedenken, da der Rückkaufswert meist deutlich unter den eingezahlten Beiträgen liegt.

  1. Berechnung des Rückkaufswerts: Ein Beispiel aus der Praxis
    Von 3.800 Euro angespartem Kapital und 220 Euro Gewinn werden 900 Euro Abschluss- und 350 Euro Stornokosten abgezogen. Es bleiben nur 2.770 Euro übrig, was einen Verlust von über 1.000 Euro bedeutet.

  2. Unterschiedliche Regelungen je nach Abschlusszeitpunkt
    Die Berechnung des Rückkaufswerts folgt verschiedenen Regelungen:
    1. Verträge 1994-2007: Rückkaufswert mindestens die Hälfte aller eingezahlten Beiträge nach Abzug der Verwaltungskosten, Abschlusskosten dürfen nicht abgezogen werden
    2. Verträge ab 2008: Abschlusskosten werden auf die ersten fünf Jahre verteilt, Stornokosten dürfen abgezogen werden

  3. Besonders dramatisch: Kündigung in den ersten Jahren
    Bei Lebensversicherungen mit niedrigem Garantiezins liegt der Rückkaufswert oft längere Zeit unter der Summe der eingezahlten Beiträge. Dies liegt daran, dass die Beiträge zu Beginn hauptsächlich für Verwaltungskosten und Vermittlerprovisionen verwendet werden, anstatt in den Sparanteil der Kunden zu fließen.


Rechtliche Rahmenbedingungen: Ihre Optionen beim Lebensversicherung kündigen

Das deutsche Versicherungsvertragsgesetz (VVG) regelt umfassend die Möglichkeiten für Verbraucher, ihre Lebensversicherung kündigen zu können.

  1. Ordentliche Kündigung: Die Standard-Option
    Versicherungsnehmer können ihre Lebensversicherung jederzeit ohne Begründung kündigen. Die Kündigungsfristen sind abhängig von den Vertragsbedingungen und betragen meist ein bis drei Monate zum Jahresende. Verträge, die nach 1994 abgeschlossen wurden, können zum Ende der Versicherungsperiode gekündigt werden.

  2. Das "ewige Widerspruchsrecht": Goldgrube für Verbraucher
    Das "ewige Widerspruchsrecht" bei Lebens- und Rentenversicherungen, die zwischen dem 29. Juli 1994 und Ende 2007 abgeschlossen wurden, ist besonders wertvoll. Voraussetzung für die Geltendmachung ist, dass der Versicherer beim Vertragsabschluss nicht oder falsch über die Kundenrechte aufgeklärt hat. Bei erfolgreichem Widerspruch erhalten Kunden alle ihre Zahlungen plus Nutzungsersatz zurück, was deutlich vorteilhafter ist als eine normale Kündigung der Lebensversicherung.

 

Alternativen zur Kündigung der Lebensversicherung sind oft die bessere Wahl

Angesichts der erheblichen Verluste beim Lebensversicherung kündigen haben sich verschiedene Alternativen entwickelt, die für Verbraucher oft deutlich vorteilhafter sind.

  1. Verkauf der Police: Mehr Geld als bei Kündigung
    Der Verkauf einer Lebensversicherung an spezialisierte Ankäufer bringt meist mehr Geld als der Rückkaufswert bei einer direkten Kündigung. Diese Option ist besonders attraktiv, wenn das Geld kurzfristig und endgültig benötigt wird.

  2. Beleihung: Liquidität ohne Vertragsverlust
    Wenn nur kurzzeitig Geld benötigt wird, ist die Beleihung des Vertrags eine sinnvolle Alternative zum Lebensversicherung kündigen. Der Rückkaufswert dient als Sicherheit für einen Kredit, ohne dass der Versicherungsvertrag beendet wird.

  3. Beitragsfreistellung: Vertrag läuft weiter ohne Beiträge
    Bei der Beitragsfreistellung wird die Beitragszahlung eingestellt, aber der Vertrag läuft weiter. Der bis dahin angesparte Betrag wird weiter verzinst. Diese Option vermeidet Stornokosten und erhält einen reduzierten Versicherungsschutz.

  4. Teilkündigung: Nur einen Teil des Geldes herausholen
    Manche Versicherer bieten Teilkündigungen an. Dabei wird nur ein Teil des Rückkaufswerts ausgezahlt, während der Rest des Vertrags bestehen bleibt. Voraussetzung sind bereits eingezahlte Beiträge in einer bestimmten Mindesthöhe.

 

Steuerliche Fallen, wenn Sie Ihre Lebensversicherung kündigen

Die steuerlichen Konsequenzen können die ohnehin geringen Rückkaufswerte weiter reduzieren. Das Finanzamt greift bei einer Kündigung oft stärker zu als nach Ablauf der regulären Laufzeit (Test.de, 2024).

  1. Besteuerung nach Abschlussdatum
    1. Verträge nach 2005: Rückkauf vor Ablauf von zwölf Jahren führt zur Einkommensteuerpflicht
    2. Verträge vor 2005: Unter bestimmten Voraussetzungen steuerliche Vorteile bei regulärer Auszahlung, die bei Kündigung verloren gehen

  2. Riester und Rürup: Besondere Regelungen
    1. Riester-Verträge: Bei Kündigung müssen erhaltene Zulagen und Steuervorteile zurückgezahlt werden.
    2. Rürup-Verträge: Grundsätzlich nicht kündbar, nur Beitragsfreistellung möglich.

 

Praktische Handlungsempfehlungen: So vermeiden Sie Verluste

  1. Vertragsanalyse durchführen
    1. Laufzeit und eingezahlte Beiträge prüfen
    2. Garantierte Zinsen bewerten (besonders bei Verträgen der 90er Jahre)
    3. Zusatzversicherungen berücksichtigen

  2. Rückkaufswert ermitteln
    1. Aktuellen Wert beim Versicherer erfragen
    2. Abschluss- und Stornokosten berücksichtigen
    3. Steuerliche Konsequenzen einkalkulieren

  3. Alternativen prüfen
    1. Verkauf an Ankäufer bewerten
    2. Beleihungsmöglichkeiten erkunden
    3. Beitragsfreistellung als Option prüfen

  4. Widerspruchsmöglichkeiten checken
    1. Verträge 1994-2007 auf fehlerhafte Belehrung prüfen
    2. Bei Bedarf rechtliche Beratung einholen

  5. Professionelle Beratung einholen
    1. Verbraucherzentralen kontaktieren
    2. Spezialisierte Rechtsanwälte bei Widerspruchsprüfung

 

Fazit: Lebensversicherung kündigen ist meist die schlechteste Option

Die umfassende Analyse zeigt eindeutig: Das direkte Lebensversicherung kündigen führt in den meisten Fällen zu erheblichen finanziellen Verlusten. Mit durchschnittlich 4.000 Euro Verlust pro Vertrag und volkswirtschaftlichen Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe ist die Kündigung meist die schlechteste aller verfügbaren Optionen.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  1. Alternativen wie Verkauf, Beleihung oder Beitragsfreistellung sind oft deutlich vorteilhafter
  2. Das "ewige Widerspruchsrecht" kann bei Verträgen 1994-2007 zu vollständiger Rückabwicklung führen
  3. Steuerliche Konsequenzen verschärfen die Verluste zusätzlich
  4. Professionelle Beratung ist unerlässlich für eine fundierte Entscheidung

Verbraucher, die über eine Kündigung nachdenken, sollten sich die Zeit nehmen, alle verfügbaren Alternativen zu prüfen. In den meisten Fällen gibt es bessere Lösungen als das direkte Lebensversicherung zu kündigen. Eine unabhängige Beratung durch Verbraucherzentralen oder spezialisierte Rechtsanwälte kann dabei helfen, kostspielige Fehlentscheidungen zu vermeiden und die individuell beste Lösung zu finden. Die Entscheidung zum Lebensversicherung kündigen sollte niemals überstürzt getroffen werden!

 

Hier finden Sie Antworten auf häufige Fragen

  • Was ist das "ewige Widerspruchsrecht" bei Lebensversicherungen?
    Zwischen 1994 und 2007 abgeschlossene Lebensversicherungen lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen zurückziehen. Gemäß einem Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. IV ZR 76/11) bleibt das Recht auf Widerruf auch lange Zeit danach bestehen, sollte die Belehrung fehlerhaft gewesen sein. In solchen Fällen haben Versicherte die Möglichkeit, ihre eingezahlten Prämien zurückzufordern, wobei möglicherweise Abzüge vorgenommen werden. Während das Widerrufsrecht selbst keiner Verjährung unterliegt, verfällt jedoch der Anspruch auf Rückerstattung. Es ist daher für Verbraucher ratsam, alte Verträge zu überprüfen, da ein erfolgreicher Widerruf selbst Jahre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses finanziell lukrativ sein könnte.

  • Was ist der Rückkaufswert bei Lebensversicherungen?
    Der Rückkaufswert bei Lebensversicherungen ist der Betrag, den der Versicherungsnehmer bei vorzeitiger Kündigung des Vertrags von der Versicherungsgesellschaft zurückbekommt. Er setzt sich aus den eingezahlten Beiträgen abzüglich der Kosten und Gebühren zusammen. Der Rückkaufswert ist gesetzlich in § 169 VVG geregelt und kann je nach Vertragsart und Laufzeit variieren.

  • Wie berechnet sich der Rückkaufswert bei Lebensversicherungen?
    Die Berechnung des Rückkaufswerts erfolgt nach den Vorgaben des Versicherungsvertragsgesetzes und ist in der Regel in den Bedingungen des Versicherungsvertrags festgelegt. Dabei werden unter anderem die Höhe der eingezahlten Beiträge, die Laufzeit des Vertrags, die Kosten und Gebühren sowie die Überschussbeteiligung berücksichtigt. Der genaue Berechnungsvorgang kann jedoch von Versicherung zu Versicherung unterschiedlich sein.

  • Was bedeutet Beleihung bei Lebensversicherungen?
    Die Beleihung bei Lebensversicherungen bezieht sich auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers, den Vertrag als Sicherheit für ein Darlehen zu nutzen. Dabei wird der Rückkaufswert des Vertrags als Grundlage für die Höhe des Darlehens verwendet. Die Beleihung ist gesetzlich in § 14 VVG geregelt und kann unter bestimmten Voraussetzungen eine sinnvolle Alternative zur Kündigung des Vertrags darstellen.

  • Was bedeutet Beitragsfreistellung bei Lebensversicherungen?
    Die Beitragsfreistellung bei Lebensversicherungen bezieht sich auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers, vorübergehend oder dauerhaft keine Beiträge mehr zu zahlen, ohne den Vertrag zu kündigen. Dies kann beispielsweise bei finanziellen Engpässen oder vorübergehender Arbeitslosigkeit sinnvoll sein. Die Beitragsfreistellung ist gesetzlich in § 163 VVG geregelt und kann je nach Vertragsart und Bedingungen unterschiedlich gestaltet sein.

  • Was bedeutet Teilkündigung bei Lebensversicherungen?
    Die Teilkündigung bei Lebensversicherungen bezieht sich auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers, einen Teil des Vertrags zu kündigen, während der andere Teil weiterläuft. Dies kann beispielsweise sinnvoll sein, wenn der Versicherungsnehmer nur einen Teil der Versicherungssumme benötigt. Die Teilkündigung ist gesetzlich in § 165 VVG geregelt und kann je nach Vertragsart und Bedingungen unterschiedlich gestaltet sein.

Hinweis
Es ist immer ratsam, sich vor einer Entscheidung über die Ausübung dieser Rechte und Optionen genau über die Bedingungen und Folgen zu informieren und gegebenenfalls professionellen Rat einzuholen.