Personenversicherungen

Erwerbsminderungsrente: Leitfaden zu Anspruch, Höhe und zusätzlicher Vorsorge

Die Erwerbsminderungsrente ist ein wichtiger Teil der deutschen Sozialversicherung für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht voll arbeitsfähig sind. Im Jahr 2025 erhalten etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland diese Rente, das entspricht 20 Prozent aller Neurentner. Die durchschnittliche Rente beträgt etwa 1059 Euro pro Monat, wobei Männer im Schnitt 1087 Euro und Frauen 1033 Euro bekommen. Trotz Verbesserungen gibt es immer noch eine Versorgungslücke, die private Vorsorge erforderlich macht. Die hohe Ablehnungsquote von fast 44 Prozent bei Anträgen zeigt die Schwierigkeiten beim Erhalt dieser Leistung.

 

Grundlegende Definitionen und Anspruchsvoraussetzungen

Die Erwerbsminderungsrente in Deutschland wird Personen gewährt, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung dauerhaft nicht mehr voll arbeiten können.

  1. Es wird zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung unterschieden.
    • Voll erwerbsgemindert sind Personen, die weniger als drei Stunden täglich arbeiten können, während teilweise erwerbsgemindert sind, die zwischen drei und sechs Stunden arbeiten können.
    • Der Anspruch auf die Rente setzt voraus, dass die Erwerbsminderung dauerhaft ist, also mindestens sechs Monate andauert. Wer mehr als sechs Stunden täglich arbeiten kann, hat keinen Anspruch auf die Rente.

Versicherungsrechtliche Voraussetzungen
Die Bedingungen für die Erwerbsminderungsrente sind streng:

  1. Man darf das Rentenalter noch nicht erreicht haben und muss mindestens fünf Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben.
  2. Zudem sind in den fünf Jahren vor der Erwerbsminderung drei Jahre mit Pflichtbeiträgen erforderlich, um kurzfristige Ansprüche zu vermeiden und Beitragsgerechtigkeit zu gewährleisten.

Medizinische Voraussetzungen und das Prinzip "Reha vor Rente"
Bevor eine Erwerbsminderungsrente gewährt wird, prüft die Rentenversicherung, ob durch Rehabilitationsmaßnahmen die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Das Prinzip "Reha vor Rente" soll sicherstellen, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, bevor eine Rente gezahlt wird. Nur wenn Rehabilitation nicht möglich ist, wird das verbleibende Leistungsvermögen bewertet, um zu entscheiden, ob eine volle oder teilweise Erwerbsminderungsrente infrage kommt.

 

Volle und teilweise Erwerbsminderungsrente

  1. Kriterien für die volle Erwerbsminderungsrente
    Personen erhalten die volle Erwerbsminderungsrente, wenn sie aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen unter drei Stunden pro Tag arbeiten können, unabhängig von der Art der Tätigkeit. Die Rentenhöhe hängt von den eingezahlten Beiträgen ab und wird durch die Zurechnungszeit bis zu einem bestimmten Alter angehoben. Ab 2025 endet die Zurechnungszeit für voll erwerbsgeminderte Personen mit 66 Jahren und zwei Monaten.

  2. Besonderheiten bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente
    Die teilweise Erwerbsminderungsrente ist für Personen gedacht, die nur noch 3-6 Stunden am Tag arbeiten können und erhalten in der Regel die Hälfte der vollen Rente. Eine Ausnahme gibt es für diejenigen, die trotz der Möglichkeit, so zu arbeiten, keinen Teilzeitarbeitsplatz finden können; sie bekommen dann die volle Erwerbsminderungsrente. Diese Regelung anerkennt die Schwierigkeiten auf dem Teilzeitarbeitsmarkt.

  3. Berufsschutz für ältere Jahrgänge
    Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, haben Berufsschutz und können nicht auf jede Tätigkeit verwiesen werden. Sie haben Anspruch auf eine halbe Erwerbsminderungsrente, wenn sie nicht mehr sechs Stunden täglich in ihrem Beruf arbeiten können. Dies berücksichtigt die Schwierigkeit einer beruflichen Neuorientierung für ältere Arbeitnehmer. Diese Personen können bereits Rente erhalten, wenn sie ihren bisherigen Beruf oder ähnliche Tätigkeiten nicht mehr vollständig ausführen können.

 

Erwerbsminderungsrente für Menschen mit Behinderung

  1. Sonderregelung für Beschäftigte in Werkstätten
    Menschen mit Behinderungen, die mindestens 20 Jahre in anerkannten Werkstätten gearbeitet haben, haben Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente. Die Regelung basiert auf der Dauer der Tätigkeit und nicht auf medizinischen Prüfungen. Sie ist im Sozialgesetzbuch VI, § 43 Absatz 6 festgelegt.

  2. Besondere Beitragsbewertung in Werkstätten
    Der Gesetzgeber hat eine Regelung geschaffen, damit Menschen mit Behinderungen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten und niedrige Löhne erhalten, dennoch angemessene Rentenansprüche erwerben können. Arbeitgeber zahlen Beiträge zur Rentenversicherung basierend auf mindestens 80 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Deutschen. Durch eine fiktive Höherbewertung der Beiträge und eine Zurechnungszeit bis zum 62. Lebensjahr erhalten behinderte Menschen im Durchschnitt eine Erwerbsminderungsrente von 800 Euro und mehr. Viele Betroffene beziehen diese Rente relativ früh, da sie meist schon in jungen Jahren in Behindertenwerkstätten gearbeitet haben.

  3. Grundsicherung trotz Erwerbsminderungsrente
    Menschen mit Behinderungen, die wegen einer Erwerbsminderung dauerhaft Rente beziehen, können zusätzlich Grundsicherung erhalten, wenn sie zu wenig Einkommen oder Vermögen haben. Diese Sozialleistung sichert den Lebensunterhalt. Personen, die in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind, gelten als voll erwerbsgemindert, da sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt benachteiligt sind.

 

Berechnung und Höhe der Erwerbsminderungsrente

Die Höhe der Erwerbsminderungsrente hängt von den erworbenen Rentenansprüchen ab. Entgeltpunkte, die das Verhältnis des eigenen Verdienstes zum Durchschnittsverdienst ausdrücken, sind dabei entscheidend.

  1. Die Berechnung erfolgt nach der Formel: Entgeltpunkte × Rentenwert × Zugangsfaktor × Rentenartfaktor = monatliche Rentenhöhe.
  2. Der aktuelle Rentenwert ist 40,79 Euro pro Entgeltpunkt.
  3. Der Rentenartfaktor beträgt bei voller Erwerbsminderung 1,0 und bei teilweiser 0,5.
  4. Der Zugangsfaktor berücksichtigt Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug.

Die Bedeutung der Zurechnungszeit
Die Zurechnungszeit ist ein wichtiges Element der Erwerbsminderungsrente, um finanzielle Nachteile bei vorzeitigem Rentenbeginn zu vermeiden. Dabei wird angenommen, dass die Person bis zu einem bestimmten Alter weitergearbeitet hätte. Bis 2025 endet die Zurechnungszeit mit 66 Jahren und zwei Monaten, bis 2031 steigt diese Grenze auf 67 Jahre. Es wird der Durchschnitt der bisherigen Beitragsjahre angesetzt, als ob der Versicherte bis zum Ende der Zurechnungszeit durchgehend gearbeitet hätte. Die letzten vier Jahre vor der Erwerbsminderung werden nur berücksichtigt, wenn sie für den Versicherten vorteilhaft sind.

Durchschnittliche Rentenhöhen und Unterschiede

  1. Die durchschnittliche volle Erwerbsminderungsrente betrug 2023 1.059 Euro, wobei Männer im Schnitt 1.087 Euro und Frauen 1.033 Euro erhielten.
  2. Teilweise Erwerbsminderungsrenten lagen im Durchschnitt bei 631,06 Euro, was die finanziellen Herausforderungen für Betroffene verdeutlicht.

Beispielrechnung:
Steffen K., 57 Jahre alt, bezieht seit Januar 2025 eine volle Erwerbsminderungsrente.

  1. Er sammelte 25 Entgeltpunkte durch seine Arbeit.
  2. Die Deutsche Rentenversicherung gibt ihm 10 zusätzliche Entgeltpunkte für die Zurechnungszeit.
  3. Sein Rentenzuschuss beträgt 4,5 Prozent ab Rentenbeginn 2025.
  4. Die Berechnung ergibt:
    • 35,45 Entgeltpunkte × 40,79 Euro × 0,892 Zugangsfaktor × 1,0 Rentenartfaktor = 1.289,84 Euro monatliche Erwerbsminderungsrente brutto.
    • Von diesem Bruttobetrag werden noch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie gegebenenfalls Steuern abgezogen.
      Steuern fallen nur dann an, wenn die Jahresrente den Grundfreibetrag von 12.096 Euro im Jahr 2025 überschreitet.

 

Zusätzliche finanzielle Unterstützungen und Hilfen

Personen, die aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft voll erwerbsgemindert sind und deren Erwerbsminderungsrente nicht ausreicht, können Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beantragen. Diese Sozialhilfeleistung deckt das Existenzminimum ab und wird meist für zwölf Monate gewährt. Der Antrag muss beim örtlichen Sozialamt gestellt werden. Voraussetzung ist, dass man mindestens 18 Jahre alt ist und die Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage dauerhaft ist. 
Bei der Grundsicherung zählt jedes Einkommen, darunter Renten, Kindergeld und Einkünfte aus Arbeit oder Vermietung. Ein Freibetrag von 10.000 Euro für Alleinstehende und 20.000 Euro für Paare ist erlaubt. Selbst genutzte Wohnungen müssen nicht verkauft werden. Partner-Einkommen wird berücksichtigt, Kinder-Einkommen erst ab 100.000 Euro jährlich.

 

Hinzuverdienstmöglichkeiten und -grenzen

Personen mit voller Erwerbsminderungsrente dürfen 2025 bis zu 19.661,25 Euro dazuverdienen, bei teilweiser Erwerbsminderung liegt die Grenze mindestens bei 39.322,50 Euro und hängt vom Einzelfall ab.
Bei Überschreitung der Grenzen wird die Rente um 40% des Mehrbetrags gekürzt. Es gibt auch einen individuellen Hinzuverdienstdeckel, der sich am besten Einkommen der letzten 15 Jahre vor Erwerbsminderung orientiert und das Gesamteinkommen begrenzt.

 

Die finanzielle Lücke und Versorgungsproblematik

Etwa 40 Prozent der Haushalte mit Erwerbsminderungsrente sind armutsgefährdet, da die Rente oft nicht zum Leben reicht. Vor allem gering Qualifizierte mit körperlich anstrengenden Jobs sind betroffen, da sie wenig verdienen und kaum private Vorsorge treffen können. Wer vor der Rente Hartz IV bezog, erwirbt zudem weniger Rentenpunkte.

 

Unterschiede zwischen gesetzlicher Erwerbsminderungs- und privater Berufsunfähigkeitsrente

Die Bewertung der Versorgungslücke zeigt, dass die gesetzliche Erwerbsminderungsrente nur bei weniger als drei Stunden Arbeitsfähigkeit pro Tag in einem beliebigen Job gewährt wird, während eine private Berufsunfähigkeitsversicherung schon zahlt, wenn der eigene Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Beide Leistungen sind kombinierbar, was eine bessere finanzielle Absicherung ermöglicht. Jedoch haben nur wenige eine private Versicherung abgeschlossen, weshalb die meisten auf die gesetzliche Rente angewiesen sind.

 

Altersstruktur der Erwerbsminderungsrentner

Statistiken belegen, dass nicht nur ältere Personen von Erwerbsminderung betroffen sind.

  1. Im Jahr 2023 waren 3,7 Prozent der neuen Erwerbsminderungsrentner unter 30 Jahre alt, und über 15 Prozent waren jünger als 45 Jahre.
  2. Personen zwischen 25 und 54 Jahren, die erwerbsgemindert sind, erhalten durchschnittlich nur 943 Euro Rente pro Monat aufgrund kürzerer Einzahlungszeiten.
  3. Unter 25-Jährige mit Erwerbsminderung während der Ausbildung können jedoch eine höhere Rente erhalten, da ihre Ausbildungszeit teilweise angerechnet wird.

 

Aktuelle Entwicklungen und Verbesserungen 2024/2025

  1. Zuschläge für Bestandsrentner
    Seit Juli 2024 erhalten Bestandsrentner Zuschläge zur Erwerbsminderungsrente. Diese Neuerung kommt etwa drei Millionen Rentnern zugute.
    • Wer zwischen Januar 2001 und Juni 2014 erstmals eine Rente bezog, bekommt 7,5 Prozent mehr, circa 80 Euro monatlich.
    • Rentner mit Rentenbeginn zwischen Juli 2014 und Dezember 2018 erhalten 4,5 Prozent, etwa 50 Euro zusätzlich pro Monat.
    • Die Auszahlung erfolgt zunächst separat und automatisch, ab Dezember 2025 gemeinsam mit der regulären Rente.

  2. Erhöhung der Zurechnungszeit
    Die Zurechnungszeit in der Rentenversicherung wurde 2019 erhöht und steigt bis 2031 auf 67 Jahre. Diese Erhöhung verbessert die finanzielle Lage von neuen Erwerbsminderungsrentnern, da zusätzliche Jahre als weitergearbeitet angerechnet werden und die Rente dadurch spürbar steigt. Vor allem jüngere Menschen, die früh erwerbsunfähig werden, profitieren davon..

  3. Anpassung der Hinzuverdienstgrenzen
    Für 2025 wurden die Hinzuverdienstgrenzen für Erwerbsminderungsrentner angepasst.
    • Bei voller Erwerbsminderung liegt die Grenze bei 19.661,25 Euro und bei teilweiser Erwerbsminderung bei mindestens 39.322,50 Euro.
    • Diese Anpassung erlaubt es Rentnern, mehr dazu zu verdienen, ohne Kürzungen ihrer Rente zu riskieren, insbesondere für diejenigen mit teilweiser Erwerbsminderung, die weiterhin arbeiten können und sollen.

 

Fazit und Handlungsempfhelungen

Die Erwerbsminderungsrente stellt ein wichtiges Element der sozialen Sicherung in Deutschland dar, weist aber erhebliche strukturelle Probleme auf. Mit durchschnittlichen Zahlbeträgen von etwa 1.000 Euro bei voller Erwerbsminderung reicht sie oft nicht aus, um den Lebensunterhalt angemessen zu bestreiten. Die hohe Armutsgefährdungsquote von 40 Prozent der betroffenen Haushalte verdeutlicht das Ausmaß der Versorgungslücke. Private Vorsorge ist daher unverzichtbar geworden, um das Risiko der Altersarmut bei Erwerbsminderung wirksam zu reduzieren.

  • Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine wichtige Absicherung, die eine Rente zahlt, falls man seinen Beruf wegen Krankheit oder Unfall nicht mehr ausüben kann. Die Rentenhöhe richtet sich nach dem Einkommen und ist besonders für Berufe mit hohem Risiko für Berufsunfähigkeit relevant.
  • Die Dread-Disease-Versicherung zahlt eine einmalige Kapitalleistung bei schweren Krankheiten wie Krebs. Das Geld hilft, finanzielle Folgen abzufedern.
  • Eine weitere Alternative ist die Grundfähigkeitsversicherung. Diese Versicherung zahlt eine Rente, wenn man aufgrund des Verlusts bestimmter Grundfähigkeiten wie Sehen, Hören oder Sprechen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Im Vergleich zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Leistungsumfang hier eingeschränkt, dafür sind die Beiträge in der Regel günstiger.

Es ist wichtig, sich frühzeitig mit dem Thema der Absicherung gegen Berufsunfähigkeit auseinanderzusetzen, da die Beiträge in jungen Jahren deutlich günstiger sind. 

Vorsorgeberatung